Ein Modell, das alles rund ums verständliche Schreiben abdeckt, das müsste man mal entwickeln? Die gute Nachricht: Das gibt es schon. In den 1970er Jahren schuf der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun zusammen mit Inghard Langer und Reinhard Tausch das Modell der „4 Verständlichkeitsmacher“, auch „Hamburger Verständlichkeitsmodell“ genannt.
Ihr Ansatz: Jede und jeder von uns merkt, ob eine technische Anleitung, ein Beipackzettel oder ein anderer Text verständlich ist. Aber woran liegt das eigentlich?
Was macht einen Text verständlich – und den nächsten so kompliziert, dass wir ihn am liebsten gleich weglegen mögen? Und so ermittelten Schulz von Thun, Langer und Tausch anhand von Mustertexten und durch Befragungen 4 „Macher von Verständlichkeit“: 1. Gliederung – 2. Einfachheit – 3. Prägnanz – 4. Zusätzliche Stimulanz.
Und dann wurden 2014 aus „4 Verständlichkeitsmachern“ doch noch 6. Zusammen mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen veröffentlichte Schulz von Thun das Interviewbuch „Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens“. Darin stellt Schulz von Thun im Gespräch mit Pörksen seine kommunikationspsychologischen Modelle vor. Und unter anderem wird dort aus den 4 Verständlichkeitsmachern ein Haus der Verständlichkeit mit „Kognitiver Empathie“ als Sockel oder Parterregeschoss und „Visualisierung“ als Dach.
4 +2 – das Verständlichkeitshaus im Überblick.
Mit diesen Checkpunkten stelle ich es in meinen Seminaren vor:
- Kognitive Empathie
Das Fundament im Verständlichkeitshaus: Die „Orientierung an einem tatsächlichen oder imaginären Publikum“ nennt Schulz von Thun eine Grundvoraussetzung für Verständlichkeit. Kognitive Empathie als das Sich-Hineinversetzen in die anderen: Was brauchen die Lesenden Ihres Textes an Informationen? Und auf welchem Verständnisniveau ist es für sie gerade richtig?
Aus meiner Erfahrung zusätzlich wichtig: Auch wenn wir unsere Zielgruppen vor Augen haben, orientieren wir uns oft eher am oberen Rand ihres Verständlichkeitslevels. Viele der Teilnehmenden meiner Seminare schreiben für Fachleute und halten es doch lieber komplizierter aus Sorge, die Zielgruppe könnte den Text für zu einfach halten. Aber auch Fachleute lesen schnell. Und niemand aus der Fachzielgruppe stört sich daran, wenn ein Text prägnant und mit Beispielen formuliert ist und sich dadurch schnell verstehen lässt.
Kognitive Empathie bedeutet für mich deshalb vor allem: sich in die Erfahrungswelt der Textzielgruppe hineinversetzen und Beispiele dafür passend auswählen. Auch dadurch lassen sich Texte leichter verstehen.
1. Gliederung und Ordnung sorgen für Überblick. Dieser Verständlichkeitsmacher ist der erste der ursprünglichen vier. Und das obwohl es bei ihm gar nicht um Wortwahl geht, sondern „nur“ ums Aussehen: kurze Absätze, Hervorhebungen wie z.B. Fettungen, Überschriften, Zwischenüberschriften und Aufzählungen, Schriftart, Schriftgröße.
Selbst wenn wir von einem Text noch kein Wort gelesen haben, haben wir einen ersten Eindruck: Wirkt er gut geordnet? Sorgen kurze Absätze und Aufzählungen dafür, dass ich mich schrittweise ins Thema einlesen kann? Wie wirken Schriftart und Schriftgröße auf mich? Ist Wichtiges hervorgehoben? Und so kann selbst eine einzige Fettung in letzter Minute noch dafür sorgen, dass ein Text verständlicher wird.
2. Einfachheit steht für die einfache Wortwahl und klare Satzstrukturen. Hier sind „klassische“ Regeln des einfachen Formulierens zu Hause: Sätze kürzen. Zusammengesetzte Wörter auseinandernehmen. Wörter wählen, die der Zielgruppe vertraut sind. Verben statt Substantiven wählen. Aktiv statt passiv formulieren. Positiv formulieren.
„Kurz/Kürze“ kommen in zwei der Verständlichkeitsmacher vor, sowohl bei der Einfachheit mit „Kurze Wörter“ und „Kurze Sätze“ als auch im Titel von „Kürze und Prägnanz“. Der Unterschied: „Einfachheit“ setzt bei einzelnen Sätzen an und „Kürze und Prägnanz“ beim ganzen Text.
Stellen Sie sich vor, Sie vereinfachen Satz A, Satz B und Satz C eines Textes. Indem Sie Sätze kürzen, bekannte Wörter verwenden und den Satzbau vereinfachen. Dann sind Satz A, Satz B und Satz C zwar leichter zu verstehen als vorher, aber der Text als Ganzes nicht unbedingt. Zum Beispiel, weil sich die Sätze in ihren Aussagen widersprechen. Deshalb kommt dieser weitere Verständlichkeitsmacher ins Spiel:
3. Kürze und Prägnanz – für den roten Faden und die Konzentration auf die Kernaussage. Mit Kürze und Prägnanz sorgen Sie dafür, dass der Text als Ganzes schnell verstanden werden kann. Zum Beispiel indem Sie sich selbst zunächst die Botschaft des Textes klar machen und dann mit aussagekräftigen Überschriften und Zwischenüberschriften sowie einem klaren roten Faden durch den Text führen.
Außerdem gehört das Straffen von Texten hierher: Prüfen Sie jeden Satz, ob der Text ihn wirklich braucht, um Ihre Botschaft zu vermitteln. Und wenn nicht, lassen Sie ihn heraus.
4. Zusätzliche Stimulanz sorgt dafür, dass die Lesenden durch direkte Ansprache, Fragen, Vergleiche, bildhafte und aktivierende Formulierungen Lust aufs Lesen bekommen und sich öffnen für Text und Thema. Diesen Verständlichkeitsmacher nennt Schulz von Thun inzwischen „Verlebendigung“. Ich selbst nenne ihn auch „Anregung“.
- Visualisierung als Dach
Der weitere Verständlichkeitsmacher, der zum ursprünglichen Modell hinzugekommen ist: Die Visualisierungen lagen eigentlich auf der Hand. Schulz von Thun zeichnet zu seinen Modellen gern auch spontan in Vorlesungen und Vorträgen. Denn Skizzen, Grafiken und Bilder helfen beim Verstehen, z.B. weil sie Zusammenhänge oder Abfolgen auf einen Blick erkennbar machen.
Aber Visualisierungen sind nicht nur für die Lesenden da. In „Kommunikation als Lebenskunst“ schreibt Schulz von Thun: „Man kann nur das visualisieren, was man auch verstanden hat.“ So lässt sich mit Visualisierungen zum einen prüfen, ob wir selbst unser Thema verstanden haben und zum anderen helfen sie denen, bei denen unsere Aussagen ankommen sollen.
Ob ein Verständlichkeitsmacher wichtiger ist als der andere, mag auch von der Textsorte und dem Medium abhängen. Bei einem Social-Media-Text erwartet die Zielgruppe z.B. mehr Anregung als bei einem Fachartikel. Bei einer technischen Anleitung mögen Gliederung und Ordnung besonders wichtig sein.
Trotzdem bleibt für mich die Essenz: Alle Texte brauchen alles. Weil wir nie genau wissen, wer die Lesenden sind, wie viel Vorwissen sie haben, was sie von unserem Text erwarten, ob sie viel Zeit zum Lesen haben oder eher nicht. Und auch, weil wir aus meiner Erfahrung dazu neigen, „unsere Verständlichkeitsmacher“ (die uns beim Lesen wichtig sind) auch für die anderen für am wichtigsten zu halten.
Ich selbst komme zum Beispiel von der Anregung her. Wenn ein Text lebendig geschrieben ist, mit Fragen und Beispielen, entspanne ich mich und fühle mich für jedes Thema „gewappnet“. Ich weiß aber auch, dass unter meinen Lesenden viele sind, denen Gliederung und Ordnung, Einfachheit und Kürze und Prägnanz noch wichtiger sind. Also schaue ich meine Texte nach dem ersten Entwurf immer auch darauf durch.
Welcher der Verständlichkeitsmacher ist Ihnen am wichtigsten beim Lesen von Texten? Und ist es auch der, den Sie beim Schreiben als erstes berücksichtigen? Dann achten Sie darauf, auch an die übrigen „Hausbewohner“ zu denken – damit Ihr Text rundum verständlich wird.
Quellen:
- „Miteinander reden, Band 1“, Friedemann Schulz von Thun, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2003
- „Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens“, Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun, Carl-Auer Verlag 2014