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Bürgernahe Verwaltungssprache

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser des Schreibtipps,

die Ankündigung der Teileinziehung nebst Anlagen liegt in der Zeit vom 17.12.21 bis einschließlich 18.03.22.“ So zu lesen bei den Bekanntmachungen für die Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde.

Hmm? Auch beim Weiterlesen wird mir nicht klar, worum es eigentlich geht. Erst die Recherche im Netz macht mich schlau. „Teileinziehung“ meint, dass öffentliche Straßen ihren Status verlieren und zukünftig nur noch zum Teil öffentlich genutzt werden können.  

Muss das so formuliert sein? Das fragen wir uns wohl immer, wenn wir einen Text nicht verstehen. Die gute Nachricht: Es geht auch anders – und es tut sich was. In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Projekte für bürgernahe Verwaltungssprache entstanden.

Aber: zu lange Sätze, zu viele Fachwörter, Passiv-Formulierungen & Co.  – das gibt’s auch anderswo. Lassen Sie sich von den Ansätzen und Tipps deshalb gern auch für Ihre Texte inspirieren.


Frische fürs „Behördendeutsch“ – einige Leuchttürme und was sich daraus für alle lernen lässt:

1. Post vom Finanzamt

Mit der Steuererklärung – und Hinweisen dazu – kämpfen viele Menschen. In Zukunft soll das anders sein. Dafür hat das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache 2021 die Verständlichkeit von Steuertexten abgefragt. Und – wohl nicht überraschend – die sprachlich überarbeiteten Texte kamen deutlich besser an.

Im Überarbeiten setzt das Institut bei der Wortwahl, den Sätzen und dem Gesamttext (und seiner Gliederung) an. Zu den Lösungsansätzen zählt die „Klassiker“ des verständlichen Formulierens: kurze Sätze, kurze Wörter, aktiv formulieren, direkte Ansprache, Fachbegriffe bildhaft erklären. Außerdem sollen die Texte kommunizieren, was die Empfänger von den Maßnahmen des Finanzamtes haben.

Die ersten Schritte sind also getan – und wir können gespannt sein auf neue Steuertexte. Mehr zur Studie findet sich hier: https://www.ids-mannheim.de/zfo/verstaendlichkeit-von-verwaltungssprache Und wer auch etwas hören will – mit Beispielen: https://www.deutschlandfunk.de/behoerdendeutsch-in-der-finanzverwaltung-wie-man-100.html.


2. Länder, Städte und Kommunen

Wer im Netz nach Projekten für bürgerfreundliche Sprache Ausschau hält, trifft auch auf zahlreiche Beispiele aus Kommunen: Wiesbaden hat schon 2010 das Projekt „Klartext in Wiesbaden“ für bürgerorientierte Verwaltungssprache gestartet.  Die Stadt Bochum kooperiert seit vielen Jahren mit der Ruhr-Universität Bochum für eine bürgernahe Verwaltungssprache.

Oder die Empfehlungen kommen gleich auf Landesebene. „Freundlich, korrekt und klar – bürgernahe Sprache in der Verwaltung“ heißt ein Leitfaden des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration.

Der große gemeinsame Nenner in den Leitfäden auch hier:  kurze Sätze, aktiv statt passiv und einfache Wortwahl. Aber es geht auch darum, dass weglassen helfen kann. Zum Beispiel bei einem der Verwaltungsklassiker „Zu unserer Entlastung senden wir Ihre Unterlagen zurück“, der sich ganz einfach ersetzen lässt: „Ihre Unterlagen senden wir zurück.“ 


3. Lesefreundliche Umweltberichte

Auch Umweltberichte haben den Anspruch, allgemein und nicht nur für Fachleute verständlich zu sein. Das schaffen sie aber nur, wenn sie in der „Normalsprache“ der Zielgruppe gedacht und formuliert sind.  

Deshalb hat sich auch das Umweltbundesamt des verständlichen Formulierens angenommen – in einem Leitfaden mit Vorher-nachher-Beispielen.

Bei aktiv statt passiv heißt es zum Beispiel vorher: „Gleichzeitig wird durch die Kühlwasserentnahmen des Kraftwerks die Wassertemperatur des Sees und damit auch die Tauglichkeit des Lebensraums für Flora und Fauna verändert.“ Und nachher: „Gleichzeitig verändert der Betrieb des Kraftwerks durch die Entnahme von Kühlwasser die Wassertemperatur des Sees und damit auch den Lebensraum für Pflanzen und Tiere.

Das Verb rutscht nach vorn und der Betrieb des Kraftwerks ist jetzt das Subjekt und verändert die Wassertemperatur. Aktive Formulierungen sind schneller verständlich, weil sie uns die „Akteure“ eines Zusammenhangs zeigen statt sie passiv zu vernebeln im Sinne von „es wird etwas getan“.

Neben den Klassikern des verständlichen Formulierens geht es in diesem Leitfaden übrigens auch um die Rolle von Layout, Navigation und Zusammenfassungen für lesefreundliche Dokumente: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/lesefreundliche-dokumente-in-umweltpruefungen

Also – es ist etwas los in Sachen bürgernahe Verwaltungssprache und das waren nur wenige von etlichen mehr Beispielen. Aber: Es sind eben auch (Pilot-)Projekte und da heißt es dranzubleiben.

Das gilt allerdings genauso für lesefreundliche und kundenorientierte Texte in Unternehmen und Organisationen. Sie gehören immer wieder auf den Prüfstand: Sind die neuen Themen genauso frisch und verständlich „betextet“, wie Sie sich das vorgenommen haben? Hat sich in Ihrer Unternehmenssprache etwas verändert, das Sie auch beim Schreiben umsetzen sollten?

Ich freue mich, wenn dieser „Ausflug“ interessant für Sie war, und wünsche Ihnen gut verständliche Texte – beim Lesen und beim Schreiben.   

Herzliche Grüße

 

 

 

 

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